Vor über 30 Jahren kaufte der Laurentiuskonvent das erste Gebäude im hessischen Dorf Wethen. U.a. ist hier seit etlichen Jahren die Geschäftsstelle der Ökumenischen Initiative Eine Welt beheimatet.
Ein wesentlicher Grund für meinen Umzug in die Ökumenische Gemeinschaft Wethen war und ist die in der Hausgemeinschaft Diemelstraße existierende Einkommensgemeinschaft. Ich bin fasziniert, dass Christen entsprechend dem Bild der urchristlichen Gemeinde ihr Einkommen miteinander teilen und ihre persönliche Sicherheit mehr auf gegenseitiger Beziehung als auf individuellem Vermögen aufzubauen versuchen.
Nun ist das Leben in einer zehnköpfigen Hausgemeinschaft freilich auch sehr anspruchsvoll und erscheint für viele als unerreichbare Perspektive. Um so mehr interessieren mich die – u.a. in Wethen – bisher entwickelten und potentiell denkbaren ökonomischen Strukturen, die sich vielleicht von der Hausgemeinschaft Diemelstraße befruchten lassen, diese jedoch nicht unbedingt 1:1 nachbilden.
Hier sei z.B. die Hausgemeinschaft Mittelstraße genannt, die nicht ihr gesamtes Einkommen, jedoch verschiedene Kassen miteinander teilt. Unter teilweiser Einbeziehung weiterer Nachbarn existieren dort u.a. eine Hausgemeinschafts- und eine Carsharing-Kasse. Die Ökumenische Gemeinschaft, die neben ca. 20 Mitgliedern der Hausgemeinschaften weitere 30 Personen aus verschiedenen Haushalten umfasst, führt eine weitere Kasse zur Bestreitung gemeinschaftlicher Aufgaben.
Ich stelle fest, dass viele Mitglieder der Ökumenischen Gemeinschaft bisher zwar keine Einkommensgemeinschaft wagen, sich jedoch von dieser angezogen fühlen. Ebenso gibt es in vielen Pfarr- und Kirchengemeinden zahlreiche Menschen, die nach Möglichkeiten neuer, attraktiver Formen des Ausdrucks ihres Christseins suchen.
Gleichzeitig sehe ich als Wirtschaftswissenschaftler, dass unser derzeitiges Finanzsystem immer weniger in der Lage ist, all die in dieses System projizierten Zukunftshoffnungen dauerhaft zu erfüllen – Geldanlagen werden in Zukunft längst nicht mehr so sicher sein wie in den letzten 60 Jahren. Auch von dieser Seite her betrachte ich neue Experimente solidarischer Ökonomie als sehr zeitgemäß und wünschenswert.
Sowohl die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen als auch die wachsende Zahl von Regiogeld-Initiativen verkörpern ein zunehmendes Bewusstsein und eine wachsende Suche nach ökonomischen Alternativen zur bisherigen kapitalistischen Marktwirtschaft. Das neu gegründete Ökumenische Netz in Deutschland ÖniD formuliert in seiner Gründungscharta unser herrschendes Wirtschaftssystem als Mammonismus.
Als Mitglied einer Einkommensgemeinschaft sowie der Ökumenischen Gemeinschaft beteilige ich mich aktiv an dieser Suche – und ahne, dass all die reizvollen neuen Modelle bisher auf einer recht abgehobenen Ebene diskutiert werden. Bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens z.B. befürchten viele, dass so mancher Mensch dann – ähnlich wie im heutigen System –nicht genügend Kraft entwickeln wird, um durch eigenes Zutun einen lebendigen Platz in der Gemeinschaft zu finden.
In Wethen erfahre ich, dass kleinräumige Lösungen recht menschlich viele der Herausforderungen bewältigen können, die bei einer bundesweiten Einführung nur schwer zu lösen wären. Der Bund der katholischen Jugend schlägt vor, ein Grundeinkommen an einen jährlichen Nachweis 500 ehrenamtlich geleisteter Gemeinschafts-Stunden zu koppeln. Doch wer legt fest, welche Dienste gemeinschaftsdienlich sind und welche nicht? Es drohen neue unmenschliche bürokratische Verwaltungen.
Lokale Einkommensgemeinschaften dagegen ermöglichen ein Grundeinkommen, dessen Akzeptanz durch unmittelbaren sozialen Kontakt sicher gestellt wird. Diese Lösung birgt freilich ihre eigenen Herausforderungen – überschaubare Einkommensgemeinschaften bedeuten immer auch notwenige Bewältigung konkreter sozialer Konflikte. Dabei scheinen Auseinandersetzungen über das Ausgabe-Verhalten einzelner Mitglieder eher ein Symptom differierender Kultur-Zugehörigkeit als Zeichen praktischer Grenzen dieses Modells zu sein.
Einkommensgemeinschaften setzen also eine gewisse gemeinsame kulturelle und wertmäßige Basis voraus. An dieser Stelle sei vermerkt, dass die von mir im Folgenden vorgestellte Vision zunächst auf der Basis der mehr oder minder gutbürgerlich-mittelständischen Ökumenischen Gemeinschaft Wethen gewachsen ist und insofern nicht den Anspruch hat, auf große Teile der Gesellschaft übertragbar zu sein.
Bereits seit dreißig Jahren wachsen in Deutschland und der Schweiz lokal organisierte Gesundheits-Solidarkassen, die zur Absicherung größerer Risiken regionale und bundesweite Solidarfonds anlegen und ansonsten auf das Prinzip Eigenverantwortung setzen. Diese unter dem Begriff www.artabana.de organisierten Gruppen sind für mich durchaus ein Vorbild möglicher zukünftiger Gemeinschaftskassen christlicher Basisgruppen.
Aufbauend auf ähnlichen gemeinsamen Projektkassen könnten Basisgemeinden zukünftig in einem längerem Prozess gemeinsame Erfahrungen sammeln im Loslassen einer durch anonyme Geld- und Versicherungssysteme vermittelten scheinbaren Zukunftssicherheit und im Aufbau von gemeinschaftlich erfahrbarer Sicherheit, die Eigenverwaltung von Geld mit verbindlicher Beziehung verbindet.
In der Artabana-Bewegung erlebe ich seit Jahren ähnlich wie in der Regiogeld-Bewegung und jetzt in der Einkommensgemeinschaft einen ständigen Lern- und Wachstumsprozess, der für mich konkreten Ausdruck christlicher Hoffnung und Überzeugung widerspiegelt. Sowohl die Regiogeld- als auch die Artabana- und die Grundeinkommensbewegung erhalten ihre Kraft bisher jedoch nicht aus einem katholischen oder evangelischen Umfeld, sondern aus der antrophosophischen Bewegung.
Ich sehe die Herausforderung und Chance, die in diesen Bewegungen gesammelten Erfahrungen für den Aufbau neuer christlicher Gemeinschaften zu nutzen, die vielen Gottessuchenden einen spannenden, lebendigen, ganz individuell verlaufenden Wachstumsprozess ermöglichen, der schließlich auch zur Verwirklichung echter Einkommensgemeinschaft führen könnte.
Auf diesem Weg könnte Wethen ein Nährboden sein für viele derartige Experimente und einen sich gegenseitig befruchtenden Austausch vieler christlicher Aufbruchgruppen. Vielleicht könnte die Ökumenische Initiative Eine Welt ein geeigneter äußerer Rahmen für diese Bewegung sein und dabei auch zu einer Kooperation mit den bundesweit existierenden Gruppen des Aufbruchs – anders besser leben finden.
In jedem Fall sehe ich derartige Experimente und Wachstumsräume als notwendige Voraussetzung zur Überwindung unseres heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem wir Menschen letztlich den Glauben an Gott auf vielfältige Weise durch den Glauben an das Geld(system) ersetzt haben. Ein individuell wachsendes Loslassen vom Glauben an das und Hoffen auf das Geld könnte insofern in unserer heutigen Gesellschaft zu einem wirksamen Zeichen von Gottvertrauen werden.
Dipl.-Kfm. Ralf Becker baute u.a. als Vertreter des Kolpingwerkes Deutschland die Erlassjahrkampagne www.erlassjahr.de mit auf und war von 1998-2001 beim Kath. Hilfswerk Misereor für Nachhaltigkeitspolitik und die Studie Zukunftsfähiges Deutschland verantwortlich. Heute arbeitet er freiberuflich als Persönlichkeits-Coach und für den Regiogeldverband www.regiogeld.de sowie in der Studiengruppe des Club-of-Rome-Berichts 2007 „Our Future Economy – Money and Sustainability: The Missing Link“.