Laurentiuskonvent in Wethen

Heinrich Dauber (HD) im Gespräch mit Paulander Hausmann (PH)

aus: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie, 2/2010, 51-57

HD: Wann habt ihr den Laurentiuskonvent gegründet und was war damals der erste Impuls?

PH: Also bei der Gründung muss man unterscheiden zwischen der Gründung des Laurentiuskonvents und Gründung der Gruppe in Wethen. Der Laurentiuskonvent ist älter, entstand 1959. Hier nach Wethen sind wir erst 1975 gekommen. Die Gründung war eine indirekte Folge des Evangelischen Kirchentages 1973 in Düsseldorf. Bei diesem Kirchentag hieß das Motto „Nicht vom Brot allein“ – eine sinnvolle Losung nach der Wirtschaftsaufbauphase. Wovon der Mensch jedoch wohl lebt, ist in dieser Losung nicht zum Ausdruck gebracht. Damals wurden erstmals Gruppen und Einzelne eingeladen, sich mit eigenen Vorschlägen an dem Kirchentag zu beteiligen. Wir haben diese Chance genutzt. Wir leben – so unser Vorschlag – vom Schalom Gottes. Wir erfahren ihn dadurch, dass wir nicht für uns alleine sind, sondern in einer Gruppe, in Gemeinschaft, in einer konkreten Gemeinde. Wir erfahren Schalom dadurch, dass wir einen selbstvergessenen Dienst für andere übernehmen, und wir erfahren Schalom im Spiel, in der Feier Gottes. So endete das Schalom-Forum mit einem bunten Straßenfest in einem Düsseldorfer Arbeiterviertel gemeinsam mit – wie es damals hieß – türkischen Gastarbeitern. Gruppe, Dienst, Feier – das waren die Themen des dreitägigen Schalom-Forums, das wir zusammen mit etwa 35 anderen Gruppen auf dem Kirchentag gestalteten.
Dieses Konzept hat sich über Erwarten gut bewährt, es war auch für den Kirchentag selber ein Lernprozess. Daraus ist der Markt der Möglichkeiten entstanden, die Einbindung von vielen Gruppen mit ihren eigenen Vorschlägen, kreativen Ideen. Beflügelt durch das Schalom-Forum haben wir als Konvent gesagt, wenn diese Formel für den Kirchentag stimmig ist, dann auch für eine neue Gruppierung innerhalb des Laurentiuskonvents. So entstand der Entschluss, eine neue Gruppe innerhalb des Konvents zu gründen. Auf der Suche nach einem passenden Ort sind wir auf Wethen gestoßen.

HD: In Wethen haben sich zunächst mehrere Familien niedergelassen?

PH: Ja, es fanden sich rasch Leute, die schon in unterschiedlicher Weise Kontakt mit dem Laurentiuskonvent hatten, die angestiftet und neugierig gemacht worden waren durch das, was der Laurentiuskonvent schon vorgelebt hat. Das waren zehn Erwachsene und sieben Kinder: Drei Ehepaare mit Kindern, ein junges, kinderloses Ehepaar und zwei Alleinstehende.

HD: Wie viele Menschen leben heute hier und wie ist die Struktur dieser Gemeinschaft?

PH: Heute leben in der ökumenischen Gemeinschaft insgesamt rund 50 Personen, darunter zehn Kinder. Die Struktur ist dezentralisiert. Zunächst sind wir auf einen leerstehenden Bauernhof, mitten im Dorf gelegen, gezogen, dessen Stallungen und Nebengebäude ausgebaut werden konnten. Für ein weiteres Wachstum haben wir später einen weiteren Hof hier im Dorf gefunden und einen zweiten Laurentiushof gegründet. Und dann sind Einzelne und Familien nach Wethen gezogen, die sich hier selber Wohnraum gesucht haben, hier und im Nachbardorf Germete. So entstand aus einem Laurentiushof allmählich die ökumenische Gemeinschaft Wethen.

HD: Gibt es für den Laurentiuskonvent eine gemeinsame Grundlage im Sinn einer Verpflichtung? Gibt es so etwas wie „zentrale Grundsätze“, gibt es da etwas Schriftliches oder gibt es nur eine allgemeine Orientierung?

PH: Nein. Der Laurentiuskonvent kennt keine Selbstverpflichtung. Wir hatten in früheren Phasen eine vorläufige Regel. Aber über eine vorläufige Regel sind wir nicht hinaus gekommen und auch die haben wir inzwischen vergessen. Wir sind nicht sehr stark im Fixieren von festen Normen, sondern versuchen – das ist oft mühsam – eine für uns passende Form zu finden, passend jeweils für die konkreten Menschen und das Schalom-Anliegen, das uns alle gemeinsam verbindet. Deshalb gehen wir etwas auf Distanz zu festen Normen, Verpflichtungen und schriftlichen Fixierungen. Wohl haben wir einen ständigen Erfahrungsaustausch, was unsere Grundsätze sind. Dabei muss man wiederum, und das macht es etwas kompliziert, unterscheiden zwischen der engeren Einbindung im Laurentiuskonvent mit seinen Mitgliedern und der etwas offeneren Form in der ökumenischen Gemeinschaft. Die ökumenische Gemeinschaft wird gewählt von Leuten, die sich zwar in den Gesamtrahmen einbringen wollen, ohne aber eine lebenslänglich angedachte Mitgliedschaft im Laurentiuskonvent zu suchen.

HD: Was für Verpflichtungen sind mit der Mitgliedschaft im Laurentiuskonvent verbunden? Gibt es gemeinsame Einkommens-, Besitzverhältnisse, gemeinsame regelmäßige Tätigkeiten, die gemeinschaftlich erledigt werden, oder geschieht dies alles wenig geregelt und je nach Abstimmung?

PH: Dies ist zunächst jeweils auf der Ebene der Untergruppierungen zu regeln. Es gibt eine Laurentiusgruppe in Wethen und eine in der Nähe von Wetzlar, in Laufdorf. Außerdem gibt es Leute, die nicht eingebunden in einer Gruppe vor Ort leben, sozusagen in der Diaspora; Leute, die früher mal Mitglied in einer Hausgemeinschaft waren und aus welchen Gründen auch immer weggezogen sind. Sie verlieren damit nicht die Möglichkeit, Mitglied des Konvents zu bleiben, gehören weiterhin dazu, sind aber auch in einer anderen Position. Zurück zur Ausgangsfrage. Im Rahmen einer der beiden Wethener Hausgemeinschaften wird Einkommensgemeinschaft praktiziert.

HD: Das heißt, alle beruflichen Einkommen, Renten, was auch immer, Sozialhilfe gehen in einen gemeinsamen Topf?

PH: Ja. Die andere Wethener Hausgemeinschaft dagegen, die früher auch in Einkommensgemeinschaft lebte, verteilt inzwischen die finanziellen Lasten je nach der Tragfähigkeit der Einzelnen. Eine für alle Hausgemeinschaften verbindliche Norm gibt es bei uns nicht. Pluriformität, das ist ja ein ökumenisches Prinzip, zeichnet uns aus.

HD: Die Häuser sind in Privatbesitz?

PH: Dieses Haus, in dem wir sitzen, gehört meiner Frau und mir. Die zwei Laurentiushöfe dagegen sind Eigentum des Konvents. Das heißt also: Die Mitglieder unserer Gemeinschaft haben also die Wahl, ob sie im Dorf eine Wohnung mieten oder kaufen wollen oder ob sie in der engeren Einbindung einer Hausgemeinschaft leben wollen.

HD: Gibt es bei euch gemeinsamen Besitz an Produktionsmitteln?

PH: Nein, gibt es nicht.

HD: Das heißt, ihr habt auch keine gemeinsamen Werkstätten, die durch die Gemeinschaft finanziert und getragen werden, sondern das sind Aktivitäten von Einzelnen.

PH: So ist es. Ich war zehn Jahre Schneider, hatte eine kleine Schneiderwerkstatt von einem im Dorf übernommen, der den Betrieb aufgeben wollte. Das war aber nicht eine Schneiderwerkstatt der Gemeinschaft, sondern formell von mir. Da ich jedoch in die Einkommensgemeinschaft des Laurentiushofs eingebunden war, lag das Risiko de facto bei der Hausgemeinschaft. Zunächst allerdings haben wir versucht, den Betrieb als eine eingetragene Genossenschaft zu führen. Das scheiterte jedoch an den Rentabilitätsansprüchen des zuständigen Genossenschaftsverbandes.

HD: Gemeinschaftliche Räume gibt es auch, Gebäude, die nur von der Gemeinschaft genutzt werden und vermutlich auch dem Laurentiuskonvent gehören? Wie werden die in Stand gehalten, repariert, genutzt und geputzt?

PH: Als Eigentümer seiner Häuser muss der Konvent sie unterhalten. Finanziert wird das durch Mieteinnahmen von denen, die dort wohnen. Als Mitglieder der ökumenischen Gemeinschaft beteiligen sich auch diejenigen, die nicht auf einem der Laurentiushöfe wohnen, an den Kosten des gemeinsamen Projekts. Die Ökumenische Gemeinschaft hat drei gemeinsam genutzte Räume gemietet, nämlich den ehemaligen „Schafstall“, nunmehr der festliche Versammlungsraum, den Stille-Raum, unsere Kapelle, sowie die Bibliothek mit einem Seminarraum.

HD: Und das wird durch monatliche Beiträge getragen?

PH: Durch regelmäßige Beiträge und – wenn unerwartet Kosten anfallen – von Fall zu Fall auf Beschluss der monatlich tagenden „Großgruppe“, der Plenarversammlung der Wethener Gemeinschaft.

HD: Wie hoch sind die dann, unterschiedlich nach Einkommen?

PH: In der Regel ist ein Richtsatz vorgegeben, aber den Einzelnen bleibt es überlassen, nach Selbsteinschätzung davon abzuweichen. Meine Frau und ich zahlen für das gemeinsame Projekt des Laurentiuskonvents im Jahr etwa 1.000 Euro.

HD: Es gibt also, wie jetzt bei euch, Familien, die ein Haus bewohnen, und dann gibt es eine große Bandbreite von Einzelpersonen über Kleinfamilien und Wohngemeinschaften. Ihr präferiert da nicht ein besonderes Modell in besonderer Weise?

PH: Nein, aber das war ein Lernprozess für uns. Gerade weil wir zunächst mit Einkommensgemeinschaft anfingen, war es nicht ganz einfach zu akzeptieren, dass dies nicht die einzig wahre Möglichkeit ist, dass auch andere Formen innerhalb unserer Gemeinschaft akzeptiert und gelebt werden können.

HD: Um welche Konflikte ging es in dieser Zeit?

PH: Wer ist der eigentliche, der bessere Laurentianer? Sind die anderen nur so geduldet oder in ihrer Eigen-Art wirklich gleichberechtigt?

HD: Wodurch hat der eigentliche Laurentianer sich ausgezeichnet?

PH: Wir, meine Frau und ich, zählten uns zu den Mitbegründern, zu den eigentlichen. Wir mussten akzeptieren, dass es eine Vielfalt von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen gibt, denen man Raum geben muss. Nach 16 Jahren sind wir auch selber aus der engeren Einbindung eines Laurentiushofs ausgetreten und leben nun in unserem eigenen Haus. So machten wir damals auch persönlich den Schritt, den wir vorher schon als Lernprozess hinter uns gebracht hatten.

HD: Hat das etwas mit dem Lebensalter zu tun? Dass man andere Bedürfnisse entwickelt und dann andere Formen der Gemeinschaft sucht?

PH: Tatsächlich, wir haben gelernt, dass die verschiedenen Lebensphasen auch verschiedene Bedürfnisse mit sich bringen. Wobei man nicht generell sagen kann, wie das im Einzelnen aussieht. Wir haben Menschen bei uns aufgenommen, die, als sie 60 waren, die engere Einbindung suchten. Für sie war es eine Erleichterung und eine Entlastung, dass sie, eingebunden in eine Gemeinschaft, mancher Sorgen enthoben waren. Für andere gilt, dass man, wenn man älter wird, etwas eigensinniger und störrischer wird und man gerade nicht diese Einbindung in die Gruppe möchte, sondern seine Unabhängigkeit sucht, sozusagen die Einheit in Vielfalt.

HD: Unsere eigene Erfahrung in einer fast 30-jährigen Haus- und Hofgemeinschaft geht auch eher in diese Richtung: Je älter wir werden, desto unterschiedlicher werden wir.

PH: Ja, das gibt es, aber es gibt auch das Bedürfnis, Probleme, die man bislang selber lösen musste, sich vom Halse zu schaffen, indem man sie auf die Hausgemeinschaft abwälzt.

HD: Krankenversicherung und all diese Dinge laufen bei euch nach wie vor individuell, innerhalb der Familien; da ist nichts in irgendeiner Weise vergemeinschaftet worden?

PH: Formell nicht, aber wir zogen mit dem Leitsatz nach Wethen: Einer trage des anderen Last!

HD: Es gibt sicher Nachbarschaftshilfe.

PH: Ja. Inzwischen gibt es in Wethen eine kleine Regionalgruppe von Artabana, eine bundesweite Solidargemeinschaft, die an die Stelle einer gewöhnlichen Krankenversicherung tritt. Da bin ich selbst auch dabei. Insgesamt, das will ich damit sagen, haben wir innerhalb der Wethener Gemeinschaft sehr unterschiedliche Lebensformen mit unterschiedlichen Verpflichtungen. Dennoch ist die Einheitlichkeit erheblich. Es gibt bei uns keine gravierenden finanziellen Unterschiede, sodass es eigentlich keine so große Rolle spielt, ob man in einer Einkommensgemeinschaft lebt oder selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss. Keiner, der hier mit einem großen Auto herumfährt; keiner, der sich große Urlaube gönnt. Es hält sich also alles in einer Bandbreite relativer Einheitlichkeit.

HD: Genderstrukturen – gibt es explizit oder implizit geschlechtsspezifische Unterschiede, Räume? Spielt das bei euch eine Rolle?

PH: Die Frauenfrage spielte eine Rolle, gerade in den Anfangsjahren, in den 70er Jahren. Wir haben auch gekämpft mit der Genderproblematik. Wir haben eine Form natürlicher Gleichberechtigung gewählt. Das sah so aus, dass zum Beispiel Kochdienste auf dem Laurentiushof unabhängig vom Geschlecht verteilt wurden. Jeder musste drankommen, auch wenn man als Arzt außerhalb des Hauses sein Brot verdiente, also bewusst eine Gleichheit unabhängig vom Geschlecht. Nach Möglichkeit sollten Männer wie Frauen beruflich arbeiten – aber beide am liebsten nur halbtägig; erstens, weil das gesellschaftlich gerecht sei und zweitens, damit Männer wie Frauen Zeit und Kraft für das Gruppenleben erhielten. Die Frauen haben sich in diesem Rahmen sehr mit feministischer Theologie beschäftigt, auch ein Stück eigene Identitätsfindung. Das hat sicherlich das Klima belebt und dazu geführt, dass Verkrustungen abgebaut werden konnten. Ich will aber nicht behaupten, dass damit alle Fragen aus der Genderdiskussion bei uns gelöst wären. Es bleiben sicherlich noch viele Unterschiede. Männer reden bei uns manchmal mehr als Frauen. Schon das gibt ein Ungleichgewicht.

HD: Wie sieht es bei euch aus mit der ökologischen Orientierung, also welche Bedeutung haben Fragen erneuerbarer Energie, ökologischen Hausbaus, Garten und Ähnliches. Steht das im Zentrum der Gemeinschaft oder sind dies mehr oder weniger zufällige Aktivitäten und Schwerpunkte?

PH: Ich will nicht behaupten, dass es bei uns im Zentrum steht. Wir sind hierhin gezogen, um zu lernen, was der Glaube nicht nur sonntags, sondern für den Alltag bedeutet. Das war und ist der spirituelle Impuls unseres Aufbruchs. Und zum Glauben gehört nach dem konziliaren Prozess auch die Wahrung der Schöpfung. So beteiligten wir uns an der Anti-AKW-Bewegung und der Friedensbewegung. Aus Großstädten kommend, war unser Speiseplan zunächst stark von Dosen bestimmt. Inzwischen wurden Dosen weitgehend verbannt; wir versuchen nun, frisches Gemüse und natürlich fair gehandelte Lebensmittel zu kaufen, um nur ein kleines Beispiel zu nennen.

HD: Aber ihr esst auch Fleisch. Oder esst ihr nur vegetarisch?

PH: Nein, wir essen Fleisch. Es gibt bei uns auch Leute, die Vegetarier sind. Das macht das Kochen etwas mühsamer. Aber das kann man lösen. In der Wethener Gemeinschaft überlegen wir momentan, ob wir ein gemeinsames zentrales Heizungssystem aufbauen können, womöglich zusammen mit dem Dorf. Das ist jedoch technisch weder einfach noch billig. Ob wir das jetzt schon schaffen, ist die Frage, aber es ist eine Frage, die uns beschäftigt. Auch Fotovoltaik liegt bei uns auf dem Dach. Für alle Grundstücke der hiesigen Gruppe wurde ein Energiegutachten angefertigt.

HD: Gibt es für Konflikte in der Gemeinschaft so etwas wie Mediation oder Supervision von außen?

PH: Nein, haben wir nicht, jedenfalls nicht durchgehend. Von Fall zu Fall, wenn wir mal in Schwierigkeiten gerieten, haben wir uns Supervision geholt. Aber das ist die Ausnahme. Ansonsten versuchen wir, das intern zu lösen, ohne dass wir deutliche Strukturen dazu entwickelt haben. Konsens gehört zwar zum Prinzip, aber was Konsens ist, darüber herrscht kein Konsens. Von daher gibt es auch so Grauzonen, wo wir uns auch immer wieder neu aneinander reiben. Ist Konsens gegeben, wenn alle zustimmen, oder ist Konsens verhindert, nur weil einer ein klares Veto einlegt oder einfach dagegen stimmt?

HD: Gibt es manchmal formelle Abstimmungen?

PH: Das gab es zuletzt, als es um den Kauf eines weiteren Grundstücks in Wethen ging.

HD: lhr betreibt auch eine Menge von politischen Aktivitäten nach außen: Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur in der lokalen Vernetzung, sondern auch international. Vielleicht kannst du dazu noch etwas ausführen.

PH: Besonders in der heißen Phase des konziliaren Prozesses waren wir sehr stark eingebunden in der ökumenischen Basisbewegung Deutschlands, mit vielen Kontakten, nicht zuletzt getragen durch die „Ökumenische Initiative Eine Welt“, die in Wethen ihre Geschäftsstelle hat. Sowohl gesellschaftspolitisch als auch kirchenpolitisch haben wir uns engagiert. Auch international sind wir vielfach vernetzt. Es ist immer anregend und ermutigend, wenn wir über Pax Christi aus Amerika Impulse und Ermutigungen bekommen, während man sonst mit Amerika oft nur Enttäuschendes erlebt. Ein Mitglied des Konvents arbeitet seit vielen Jahren als Entwicklungshelfer in Mosambik; ein Mitglied der Wethener Gruppe geht mit seiner Frau Ende Oktober für drei Jahre in den Kongo für ein Friedensprojekt der dortigen Kirche; ein weiteres Mitglied lebt und arbeitet in Liberia im Rahmen eines ökumenischen Frauenprojekts.

HD: Lass uns noch eine Frage zuspitzen: ist ein solches Umdenken, anders zu leben, nur möglich in einer Gemeinschaft, nicht als Einzelner auf der Basis der Kleinfamilie? Welche Bedeutung hat die Gemeinschaft für diese Umorientierung, sowohl in den Perspektiven wie in der Lebenspraxis? Und: Welche Rolle können solche Gemeinschaften spielen beim Umbau unserer Gesellschaft?

PH: Eine Frage, die uns immer wieder beschäftigt, lautet: Setzt eine Gemeinschaft mehr Energie frei, als sie bindet? Für das Innenleben einer Gemeinschaft braucht man Zeit und Aufmerksamkeit. Eine eindeutige Antwort haben wir nicht. Den Gruppenprozess instand zu halten, braucht Zeit, Aufmerksamkeit, vielfältige Aktivitäten. Ich bewundere Sternstein, der als Einzelkämpfer unermüdlich sich engagiert. Unsere Stärke besteht darin: Wir haben Ausdauer. Wir verschleißen uns nicht so schnell, weil wir immer wieder zurückfallen können in die Solidarität einer Gruppe. Wenn man merkt, man kommt mit seinem Anliegen nicht zum Zug, fängt die große Enttäuschung an, holt man sich Wunden. Wir vermeiden diese Enttäuschung, weil wir immer wieder das Gefühl haben, wir erleben doch vieles, was trotz allem sinnvoll ist und gelingt. Das bewahrt uns vor Resignation, das hält uns lebendig, das hält uns am Leben.

HD: Würdest du sogar sagen, diese gelebte Gemeinschaft ist auch der Ausdruck eurer spirituellen Orientierung, mehr als bestimmte Glaubensinhalte oder gemeinsame religiöse Überzeugungen?

PH: Ja, unbedingt. Wir sind eine ökumenische Gruppe, nicht nur, weil es verschiedene Glaubensansichten gibt, sondern weil wir in der Vielstimmigkeit auch ein Stück spirituelle Erfahrung machen. Traditionell könnte man sagen: Gott wird sichtbar in der Vielstimmigkeit. Ich bin etwas vorsichtig mit dem Wort Gott. Was Gott ist, wissen wir nicht so genau, aber diese Vielstimmigkeit, die Gemeinschaft nicht zerstört, sie vielmehr begründet. Als Konventler möchten wir als Gemeinde, als qualifizierte Gruppe leben. Dann ist die Gruppe wirklich eine Säule unseres Zusammenlebens.

HD: Im Sinne der christlichen Gemeinschaft?

PH: Aber ohne damit den Exklusivitätsanspruch zu verbinden, dass die Gruppe etwas Besseres ist. Ob es etwas Besseres ist, wissen wir nicht. Ich weiß nur, dass andere, die nicht in einer Gruppe leben, auch Erstaunliches machen.

HD: Lässt sich etwas über den Bildungs- und Berufshintergrund der Kommunarden sagen?

PH: Etwa 60 Prozent der Mitglieder haben einen akademischen Bildungshintergrund, arbeiten etwa als Lehrer, Arzt oder Theologe, also im sozialen Bereich; aber es gibt auch Krankenschwestern, eine Optikermeisterin und eine Buchhalterin unter uns. Aber nicht die formale Qualifikation ist entscheidend, wichtig ist vielmehr die verbale Kommunikationsfähigkeit der Gruppenmitglieder.

HD: Und damit komme ich zur letzten Frage: Wie viele Aussteiger gab es und aus welchen Gründen?

PH: Natürlich sind im Verlauf von 35 Jahren nicht nur neue Mitglieder hinzugekommen, sondern auch welche gegangen. Dass der eine oder die andere bei gruppendynamischen Prozessen unter die Räder kommt, lässt sich leider nicht immer vermeiden, auch Ehescheidungen sowie berufliche Gründe führten zu Auszügen.
Von den zehn Gründungsmitgliedern leben aber immerhin noch sieben innerhalb der Wethener Gemeinschaft. Diese sind allerdings im Laufe der Jahre mindestens einmal innerhalb der Gesamtgruppe umgezogen. Die relativ offene Struktur unserer Gemeinschaft ermöglicht einen Umzug ohne Auszug. So bleibt trotz mancherlei Umbrüche Kontinuität gewahrt.